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Allerlei Löbliches & Despektierliches über Neuwied am
Rhein:
"Diese
freundliche Stadt, erbaut auf einen von Bergen
umstellten Raum, ist uns wegen der Altertümer merkwürdig, welche man daselbst gefunden hat und findet !" (1774 Johann Wolfgang G. / Frankfurt am Main)
"Im Jahr
1968 machten die
deutschen Studenten
bekanntlich eine Revolution. Ich habe damals in einer Bimsfabrik in
NEUWIED
gearbeitet und konnte deshalb leider nicht daran teilnehmen. |
"Man hat dort die besten
französischen Möbel
geschreinert und der Portwein der Herrnhuter...war eine gute Sache! Dies Herrnhuter Viertel war rational und totenstill, geometrisch wie eine alte Jungfer. Die weißen Fenster blieben geschlossen, niemand schaute heraus, pedantisches Empire verbarg große Gärten, worunter mitunter eine weiße Haube lugte. Die Kirche war kahl wie ein Operationssaal – Gott als weißes Quadrat!..." (CARL EINSTEIN) "Von Koblenz fuhren wir nach Neuwied, und besahen dort das Brüderhaus der Herrnhuter, nebst den mancherlei Werkstätten dieser fleißigen und geschickten Gesellschaft. Ihre Kirche ist ein einfaches, helles Gebäude, das mir recht gut gefiel..." (GEORG FORSTER) "...Der Pöbel wohnte im `Kleinen Frankreich´ - ebenso die Stadtverrückten. Dort hing Wäsche und die Mädchen gingen auf die Rabeninsel am Rhein. Man erzählte Schauerliches !... Am `Kleinen Frankreich´ vorbei, woraus hie und da ein Stein oder Fluch in die Schloßstraße flogen, ging man ins Fürstliche, beschaute idiotische Schloßpfauen und saß an der Rheinspitze, die den Fluß zerschnitt!" (CARL EINSTEIN) |
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JOHANN PETER
HEBEL:
"DIE BEKEHRUNG (aus dem "Schatzkästlein des rheinischen
Hausfreundes")
Zwei Brüder im Westfälinger Land lebten miteinander in
Frieden
und Liebe, bis einmal der jüngere lutherisch blieb, und der
ältere
katholisch wurde. Als der jüngere lutherisch blieb und der
ältere
katholisch wurde, taten sie sich alles Herzeleid an. Zuletzt schickte
der
Vater den katholischen als Ladendiener in die Fremde. Erst nach einigen
Jahren schrieb er zum erstenmal an seinen Bruder. `Bruder´,
schrieb
er, `es geht mir doch im Kopf herum, daß wir nicht einen Glauben
haben, und nicht in den nämlichen Himmel kommen sollen, vielleicht
in gar keinen. Kannst du mich wieder lutherisch machen, wohl und gut,
kann
ich dich katholisch machen, desto besser. `Also beschied er ihn in den
Roten Adler nach NEUWIED, wo er wegen einem Geschäft durchreiste.
`Dort wollen wir's ausmachen!´ In den ersten Tagen kamen sie
nicht
weit miteinander. Schalt der Lutherische: `Der Papst ist der
Antichrist´,
schalt der Katholische: `Luther ist der Widerchrist.´ Berief sich
der Katholische auf den heiligen Augustin, sagte der Lutherische: `Ich
hab nichts gegen ihn, er mag ein gelehrter Herr gewesen sein, aber beim
ersten Pfingstfest zu Jerusalem war er nicht dabei.´ Aber am
Samstag
aß schon der Lutherische mit seinem Bruder Fastenspeise.
`Bruder´,
sagte er, `der Stockfisch schmeckt nicht giftig zu den
durchgeschlagenen
Erbsen´; und abends ging schon der Katholische mit seinem Bruder
in die lutherische Vesper. `Bruder´, sagte er, `euer Schulmeister
singt keinen schlechten Tremulant.´ Den andern Tag wollten sie
miteinander
zuerst in die Frühmesse, darnach in die lutherische Predigt, und
was
sie alsdann bis von heut über acht Tage der liebe Gott vermahnt,
das
wollten sie tun. Als sie aber aus der Vesper und aus dem grünen
Baum
nach Hause kamen, ermahnte sie Gott, aber sie verstanden es nicht. Denn
der Ladendiener fand einen zornigen Brief von seinem Herrn:
`Augenblicklich
setzt Eure Reise fort. Hab ich Euch auf eine Tridenter
Kirchenversammlung
nach Neuwied geschickt, oder sollt Ihr nicht vielmehr die Musterkarte
reiten?´
Und der andere fand einen Brief von seinem Vater: `Lieber Sohn komm
heim
sobald du kannst, du mußt spielen.´ Also gingen sie noch
den
nämlichen Abend unverrichteter Sachen auseinander, und dachten
jeder
für sich nach was er von dem andern gehört hatte. Nach sechs
Wochen schreibt der jüngere dem Ladendiener einen Brief: `Bruder,
Deine Gründe haben mich unterdessen vollkommen überzeugt. Ich
bin jetzt auch katholisch. Den Eltern ist es insofern recht. Aber dem
Vater
darf ich nimmer unter die Augen kommen.´ Da ergriff der Bruder
voll
Schmerz und Unwillen die Feder: `Du Kind des Zorns und der Ungnade,
willst
du denn mit Gewalt in die Verdammnis rennen, daß du die
seligmachende
Religion verleugnest? Gestrigen Tags bin ich wieder lutherisch
worden.´
Also hat der katholische Bruder den lutherischen bekehrt, und der
lutherische
hat den katholischen bekehrt, und war nachher wieder wie vorher,
höchstens
ein wenig schlimmer!"
Dumm gelaufen!
Ein Jahrhundert später fand auch ein anderer Literat, Luigi Pirandello, in seiner todtraurigen Novelle "Natale sul Reno" ("Weihnachten am Rhein") in Neuwied den idealen Schauplatz – für einen Selbstmord!
"Weihnachten
wurde seit zwei Jahren im Hause L*** nicht mehr
gefeiert,
als Zeichen
der Trauer über den gewaltsamen Tod des zweiten Mannes
der Frau Alvina... Herr Fritz L*** hatte sich nach einem unordentlichen
Leben durch einen Revolverschuß in die Schläfe umgebracht,
in
Neuwied, am rechten Ufer des Rheins... Es geht der Ruf, daß man
sich
(dort), besser als an jedem anderen Ort der Rheingegend, des
Sonnenaufgangs
erfreuen kann. `Ich habe alles erlebt´, hieß es im
Abschiedsbrief
an seine Gemahlin, `außer einer einzigen Sache; in den vierzig
Jahren
meines Lebens habe ich nie die Sonne aufgehen sehen. Ich werde (also)
morgen
diesem Schauspiel vom Ufer aus beiwohnen... Ich werde die Sonne
aufgehen
sehen, und beim Kuß des ersten Sonnenstrahls werde ich mein Leben
beschließen!´"
Norbert
Blüm: "In NEUWIED fuhr der Zug langsam und
quietschend
auf dem Bahnsteig 1 ein. Alle hingen am Fenster mit der Frage: `Wie steht's?´ Aber bevor die Frage gestellt werden konnte, schallte es aus dem Bahnhofslautsprecher nicht wie üblich: `Neuwied, Neuwied - hier ist Neuwied´, sondern triumphierend: `Deutschland ist Weltmeister´!" |
Diese Anekdote u.v.v.a.m. auch
in: Lutz Neitzert: DIE FRÜHEN JAHRE DES FUSSBALLS Ein Spiel entsteht und Fusslümmel erobern Neuwied (Verlag Peter Kehrein) |
KNIGGE in NEUWIED
Am 24. Juni
des Jahres 1782 betrat ein recht seltsamer Herr den
verrufensten
Ort der Stadt Neuwied. Gerade 30 Jahre alt und an der Schwelle zur
Berühmtheit,
doch bereits unübersehbar gezeichnet von Krankheit und Auszehrung.
Den Kopf angefüllt mit den menschheitsbeglückenden Idealen
der
Aufklärung, mit politischen Umsturzplänen und einem ganzen
Sortiment
wunderlicher Spinnereien. Eine Person voller Widersprüche und doch
mit festen Vorsätzen und Lebenszielen, ein Mann mit fixen Ideen
und
doch auch mit einer wachen Vernunft. Sein Name: ADOLPH FRANZ LUDWIG
FRIEDRICH
FREIHERR VON KNIGGE. Dieser sonderbare Zeitgenosse also stattete an
jenem
Sommertag der Fürstenresidenz am Rhein einen Besuch ab. Und dabei
führte ihn sein Weg zum Schloß Friedrichstein, zum
"Teufelsschloß"
bei Fahr. Am Fuß der Hohen Ley 1646 aus Anlaß der
Stadtgründung
von Graf Friedrich zu Wied erbaut, doch nur kurze Zeit von der
Fürstenfamilie
bewohnt (unzufrieden mit den Baulichkeiten zog man bald in das neue
Stadtschloß),
rankten sich binnen kurzer Zeit ungezählte Legenden um das immer
mehr
verfallende Gemäuer. (Heute erinnert so gut wie nichts mehr an den
geschichtsträchtigen Ort. Seit 1868 führen darüber
hinweg
die Geleise der Deutschen Bundesbahn.) Jedenfalls ist anzunehmen,
daß
Knigge sich damals auch dort umgetan hat. Seit 1780 gehörte ein
Teil
des Schlosses der Neuwieder Freimaurerloge "Karoline zu den drei
Pfauen"
(neben ihrem Ordenshaus in der Kirchstraße). Und Knigge kam nicht
als Tourist, sondern er fuhr als Emissär zu Verhandlungen mit eben
jenen Logenbrüdern (darunter Graf zu Stolberg-Roßla und der
Schriftsteller Ludwig Ysenburg von Buri). Sein (erfolgreich erledigter)
Auftrag war die Überführung der Neuwieder Freimaurerei in den
neugegründeten Orden der "Illuminaten",
dessen aktivster Propagandist und Proselytenmacher er in jenen Jahren
gewesen
ist. Geboren vor 240 Jahren, am 16. Oktober 1752, auf einem Gut in
Bredenbeck
unweit Hannover, hatte der junge Knigge von seinem Vater nichts weiter
geerbt als einen imposanten Schuldenberg, dazugehörig eine Horde
geldgieriger
Gläubiger, und eine höfische Erziehung, die ihm auf seinem
späteren
Lebenswege eher hinderlich und peinlich als nützlich sein sollte.
(In jenem Jahr 1782 wurde in Weimar ein gewisser Johann Wolfgang Goethe
in den Adelsstand eines von Goethe erhoben, während Knigge wohl
auch
in Neuwied keine Gelegenheit ausließ, sich gerade von seinem
angeborenen
"von" ausdrücklich zu distanzieren. So pflegte er etwa seine
Briefe
nicht mit "Freiherr von Knigge" zu unterzeichnen, sondern er schrieb:
"Der
freie Herr Knigge"! Alles, was er in seinem Leben unternommen hat,
begann
mit einem vielversprechenden Höhenflug und endete
regelmäßig
in der Tinte. Als 19jähriger startete er in der Residenz des
Landgrafen
von Kassel zu einer höfischen Laufbahn comme il faut. Erste
Erfolge
stellten sich schon bald ein, nichts schien sein weiteres Fortkommen zu
hindern und schließlich erreichte er als Leiter der
fürstlichen
Meerschaumpfeifenmanufaktur und Planungsbeauftragter für den
Zichorieanbau
einen ersten Karrieregipfel. Doch dann zogen unvermittelt dunklere
Wolken
auf über Junker Knigge und er geriet in das unheilvolle Gespinst
höfischer
Intrigen. Vor allem hatte er den verhängnisvollen Fehler begangen,
die Fürstin, welche offenbar Gefallen gefunden hatte an dem jungen
lebhaften Hannoveraner, zurückzuweisen. "Ich trat als ein sehr
junger
Mensch, beinahe noch als ein Kind, schon in die große Welt und
auf
den Schauplatz des Hofes. Mein Temperament war lebhaft, unruhig,
bewegsam,
mein Blut warm; die Keime zu mancher heftigen Leidenschaft lagen in mir
verborgen; ich war in der ersten Erziehung ein wenig verzärtelt...
und man hatte mich nicht zu jener Geschmeidigkeit vorbereitet, derer
ich
bedurfte, um, unter mir ganz fremden Leuten, in despotischen Staaten
große
Fortschritte zu machen... Ein einziger unbesonnener Schritt..., durch
welchen
sich der Ehrgeiz und die Eitelkeit eines Weibes gekränkt
hielten...,
war Schuld daran, daß ich nachher allerorten, wo mein Schicksal
mich
nötigte, Schutz und Glück zu suchen, Widerstand... fand.
Wirklich
sollte man es kaum glauben, welche Mittel solche Furien ausfindig zu
machen
wissen, einen ehrlichen Mann, von dem sie sich beleidigt glauben, zu
martern,
zu verfolgen; wie unauslöschlich ihr Haß ist; zu welch
niedrigen
Mitteln sie ihre Zuflucht nehmen!" Er verlor die Gunst seines
Brotherren
und verließ das "sibirisch kalte" Kassel schließlich
gedemütigt
und mit ungewissen Aussichten. Vollständig desillusioniert nach
einem
ähnlich glücklos verlaufenden Gastspiel in Diensten des
hessischen
Erbprinzen in Hanau, beschloß er, in Zukunft sich auf die Seite
jener
zu schlagen, die am Vorabend der bürgerlichen Revolution gegen die
menschenverachtende Fürstenherrschaft aufbegehrten. Im Namen der
Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit.
Infiziert mit solchen Ideen schon während seines Jurastudiums in
Göttingen
(dort als Zimmernachbar G. Chr. Lichtenberg's), suchte er ein
angemessenes
Wirkungsfeld für seine neue Weltanschauung. Er glaubte es
schließlich
gefunden zu haben im geheimen Bund der Freimaurer. Hier erhoffte er
sich
einen Zusammenschluß redlicher, fortschrittlich gesonnener
Bürger,
die im Geiste der Aufklärung und verborgen vor dem Zugriff der
fürstlichen
Gewalt für eine Veränderung der Gesellschaft arbeiten,
missionieren
und streiten wollten. Nebenbei widmete er sich, halb im Ernst, halb im
Spaß, der Suche nach dem vielbeschworenen "Stein der Weisen" und
in allerlei abstrusen alchimistischen Experimenten der Kunst des
Goldmachens.
(Letzteres hatte schon sein Vater betrieben, mit wenig Erfolg, wie die
hinterlassenen Schulden schlagend beweisen.) Wie viele seiner
Zeitgenossen,
so sah auch Knigge keinen Widerspruch zwischen Mystik und Vernunft.
Vielmehr
suchte er die kühl rationale Einsicht in den Lauf der Welt durch
allerlei
nervenkitzelndes Zeremonium zu beflügeln. Mit der traditionellen
Freimaurerei
wurde er bald schon unzufrieden und so schloß er sich 1780 dem
(vorgeblich
uralten, in Wirklichkeit jedoch erst 1776 von Adam Weishaupt in
Ingolstadt
gegründeten) Orden der "Illuminaten" an. Diese geheime Verbindung
zählte bald schon eine illustre Reihe berühmter Mitglieder:
Herder,
Pestalozzi, Herzog Karl-August von Weimar gehörten dazu, ebenso
der
unvermeidliche Goethe und vermutlich auch Schiller. Unter dem
Ordensnamen
"Philo" wurde Knigge bald zum rührigsten Aktivisten des Bundes.
Und
in dieser Eigenschaft weilte er, wie gesagt, im Sommer 1782 auch in
Neuwied.
Doch die Ordensgeschäfte, die er mit wahrem Feuereifer betrieb,
wuchsen
ihm immer mehr über den Kopf und brachten ihn an den Rand
körperlicher
und geistiger Erschöpfung. Zudem mußte er erkennen,
daß
selbst eine Bruderschaft mit solch hehren und untadeligen Zielen nicht
gefeit ist gegen Mißgunst, Eitelkeiten und Dummheit. Aufgerieben
in internen Machtkämpfen, vor allem mit dem Ordensgründer
Weishaupt,
zog er sich ein Jahr später von allen Ämtern zurück.
1788
schreibt er: "Es möchte doch wohl nun endlich einmal Zeit sein,
diese
teils zwecklosen, törichten, teils dem gesellschaftlichen Leben
gefährlichen
Bündnisse aufzugeben... Unnütz sind solche Verbindungen von
seiten
ihrer Wirksamkeit, weil sie sich mit elenden Kleinigkeiten und
abgeschmackten
Zeremonien beschäftigen,... nach schlecht durchdachten Plänen
handeln, unvorsichtig in der Wahl ihrer Mitglieder sind und folglich
bald
ausarten!" Er beschließt, seinen Lebensunterhalt fortan als
Schriftsteller
zu bestreiten und man kann ihn tatsächlich als einen der
allerersten
Berufsschriftsteller deutscher Zunge bezeichnen. Wie alles, was er je
im
Leben begonnen hat, so startete er auch in die Buchproduktion mit
wahrer
Arbeitswut. Buch auf Buch erschien und nicht wenige davon wurden zu
wirklichen
Bestsellern:
"Roman
meines Lebens", "Die Geschichte Peter Clausens", "Joseph von
Wurmbrandts politisches Glaubensbekenntnis mit Hinsicht auf die
Französische
Revolution", "Des seligen Etatsrats Samuel von Schaafskop hinterlassene
Papiere", "Die Reise nach Braunschweig" (u.v.v.m.). Er bediente alle
literarischen
Modegattungen von der Autobiographie über den Reisebericht, den
Schelmenroman,
die politische Satire bis zur
philosophisch-wissenschaftlich-moralischen
Erbauungsschrift. Nebenbei dilettierte er als Theaterleiter und als
Komponist
(eines Konzertes für Solo-Fagott). Er schreibt viel, zuviel, wie
die
Literaturkritiker naserümpfend monierten und wie er auch selbst
eingestand.
Dabei bediente er die Lesewünsche eines Massenpublikums nach
spannenden,
humorvollen Erzählungen, blieb jedoch seinen aufklärerischen
Idealen immer treu. Knigge's Trivialromane sind verfaßt in
stilsicherer,
eleganter Prosa und durchtränkt von moralischen Grundsätzen
und
Lebensweisheiten - ein früher Ahne des Johannes Mario Simmel.
Immer
gut für einen Skandal waren seine (oft unter Pseudonym
veröffentlichten)
politischen Flugschriften und Pamphlete. Etwa die "Sechs Predigten
gegen
Despotismus, Dummheit, Aberglauben, Ungerechtigkeit und
Müßiggang",
in denen er an die Adresse der Fürsten gerichtet schreibt:
"Zittert,
daß nicht der Versucher über euch komme, daß nicht der
Reiz der Herrschsucht, der Glanz der Hoheit... eure Augen verblenden
und
ihr, uneingedenk eurer hohen Bestimmung, die Henker unschuldiger
Menschen
werden möget. Zittert und vergeßt nicht, daß das
Seufzen
der Unterdrückten bis vor den höchsten Thron der
Gerechtigkeit
dringt!" Er lebte also, mehr schlecht als recht, von den
Einkünften
aus seinen Büchern, und so machten ihm insbesondere die vielen
Raubdrucke
seiner Schriften sehr zu schaffen. Aus diesem Grunde drohte er mit der
Herausgabe eines Buches unter dem Titel "Diebschronik oder Sammlung von
Lebensbeschreibungen und Bildnissen der berühmtesten deutschen
Nachdrucker".
1788 erschien dann jenes Werk, welches bis heute seinen Ruhm
begründet
hat: "Über den Umgang mit Menschen". Egon Friedell spricht davon
als
dem "berühmtesten Buch der deutschen Aufklärung, welches
durchaus
verdient, noch heute von jedermann zitiert zu werden, und durchaus
nicht
verdient, von nahezu niemandem mehr gelesen zu werden". Wer sich einmal
die Mühe und das Vergnügen macht, diesen oft bemühten,
aber
offensichtlich nie studierten Text wirklich zu lesen, der wird
überrascht
sein, darin kein Wort von all dem zu finden, was man gemeinhin mit dem
Namen KNIGGE in Verbindung bringt. Kein Wort über den
stilvollendeten
Handkuß oder den angemessenen Werkzeuggebrauch beim Verzehr toter
Fische und dergleichen. Stattdessen ist es ein Ratgeber für ein
der
Vernunft gemäßes, ruhiges, nützliches und
erfülltes
Leben unter sympathischen wie auch unsympathischen und
übelwollenden
Mitmenschen. Knigge war sich dessen bewußt, daß seine
eigene
Biographie ihn nicht gerade als einen Meister in dieser Kunst auswies,
und so heißt es denn im Vorwort: "Aber habe ich denn wohl auch
Beruf,
ein Buch über die Kunst des Umgangs mit Menschen zu schreiben,
ich,
der ich in meinem Leben vielleicht sehr wenig von diesem Geiste gezeigt
habe? Ziemt es mir, Menschenkenntnis auszukramen, da ich oft ein Opfer
der unvorsichtigsten... Hingebung gewesen bin?... Lasset doch sehn,
meine
Freunde! was sich darauf antworten läßt? Habe ich widrige
Erfahrungen
gemacht, die mich von meiner eigenen Ungeschicklichkeit überzeugt
haben - desto besser! Wer kann so gut vor der Gefahr warnen, als der,
welcher
darin gesteckt hat?... Übrigens werden vielleicht wenig Menschen
in
einem so kurzen Zeitraume in so manche sonderbare Verhältnisse mit
andern Menschen aller Art geraten als ich seit ungefähr zwanzig
Jahren;
und da hat man denn schon Gelegenheit,... Bemerkungen zu machen und vor
Gefahren zu warnen, die man selbst nicht hat vermeiden können!" Er
behandelt in 26 Kapiteln das angemessene Verhalten gegenüber den
verschiedensten
Typen von Menschen: über den Umgang mit Alten, Kindern, Eltern,
Ehepartnern,
Verliebten und Betrunkenen, Gaunern und Heuchlern, Künstlern und
Schwärmern,
Geistlichen, Lehrern, Ärzten, Juristen u.v.a.m. Das wichtigste
Thema
aber ist ihm der Umgang mit den hohen Herrn Fürsten und dort
versucht
er zu lehren, wie man auch als "kleiner Mann", wenn 's Not tut, einmal
gekonnt, gefahrlos und stilvoll mit den Großen dieser Welt
Schlitten
fahren kann: "Man würde ungerecht handeln, wenn man behaupten
wollte,
alle Fürsten... hätten dieselben Fehler..., durch welche
viele
von ihnen ungesellig, kalt, unfähig zum echten Freundschaftsbande
und schwer zu behandeln im Umgange werden; allein man versündigt
sich
wahrlich nicht, wenn man sagt, daß dies bei den mehrsten von
ihnen
der Fall ist... Sage diesen Leuten zuweilen einmal, doch ohne Hitze und
Grobheit, die Wahrheit. Schlage ihre flachen, schiefen Urteile
kaltblütig
mit Gründen nieder, wo es nach den Umständen die Klugheit
erlaubt.
Stopfe ihnen das Maul, wenn sie den Redlichen lästern. Setze ihren
Schleichwegen Mut, Tätigkeit und wahre Kraft entgegen!" Das Buch
wurde
in ganz Europa ein riesiger Erfolg, und auch die Obrigkeit nahm Notiz
von
dieser politisch in höchstem Maße
unbotmäßigen
Schrift. Als Knigge dann nach 1789 auch noch
als vehementer Verfechter der Französischen Revolution auftrat,
wurde
er immer mehr zum Opfer staatlicher Schikane und Verfolgung. Viele
Verleger
(nach seinem Tod vor allem auch seine eigene Tochter) begannen
daraufhin,
um den Verkaufserfolg nicht zu gefährden und der Zensur keinen
Anlaß
zu einem Verbot zu geben, den ursprünglichen Text zu
entschärfen
und ganze Passagen einfach umzuschreiben. Bis am Ende tatsächlich
jene Benimmfibel stand, die Knigge's Absichten praktisch in ihr
Gegenteil
verkehrte und der er seinen zweifelhaften Nachruhm verdankt.
Wüßte
er, wozu heute sein guter Name zum Inbegriff geworden ist, nämlich
ausgerechnet zum Synonym für steife, leblose Etikette, er
würde
sich im Grabe umdrehen und die Welt nicht mehr verstehen. Am 6. Mai
1796
stirbt Knigge, kaum 43jährig, verbraucht und aufgerieben von einem
spannungsreichen und aufopferungsvollen Leben, in Bremen, wo er die
letzten
Jahre (als ein Radikaler im öffentlichen Dienst der
Schulbehörde)
verbracht hatte. Beigesetzt wurde der Leichnam des "Freien Herrn" im
Dom
der Freien und Hansestadt. Kurz vor seinem Tod erschien sein letztes
Buch,
ein zutiefst pessimistisches Resümee mit dem programmatischen
Titel:
"Über Undank und Eigennutz"!
Notabene:
Auch der
Abschied Knigge’s vom Kreis der "Illuminaten" birgt einen
interessanten Bezug hierher nach Neuwied. Der Hamburger
G.E.Lessing-Verleger
Johann Joachim Christoph Bode, der zusammen mit ihm für den Orden
missioniert hatte, schilderte ihre fortschreitende Entfremdung und
schließliche
Feindschaft. In einer Knigge-Biographie (geschrieben von Wolfgang
Fenner
– in Band 10 der "Ausgewählten Werke" / Hannover 1996 – S.222f)
lesen
wir: "Bode notierte am 9. Juni 1784...: `Philo’s (LN: also Knigge’s)
Tochter
trägt das Ordensband vom heiligen Grabe... über dem Corset
sogar...!´
und runzelte höchst bedenklich die Stirn über dessen
Leichtsinn.
Am nächsten Tag begannen die beiden dann über die genauen
Austrittsmodalitäten
zu verhandeln. Am Mittag des 12ten waren sie fertig. Knigge
unterschrieb
ein Revers, in dem er `unverbrüchliches Stillschweigen zu
beobachten´
gelobte sowie die Rückgabe sämtlicher Ordenspapiere... Von
Ordensseite
wurde ihm im Gegenzug ein Zeugnis ausgestellt, mit dem ihm ein
ehrenvoller
Abgang verschafft werden sollte: `Nachdem der hochwürdige Bruder
Philo,
Herr Baron von Knigge, bei dem Orden der Illuminaten, theils wegen
häuslicher,
theils anderer triftiger Gründe wegen, um die Entlassung von
seinen
bis dahin geführten Ordens-Ämtern nachgesucht´, macht
der
Orden dies hiermit bekannt... Bode reiste danach durch die Pfalz und
nach
NEUWIED, wo der neue Nationalobere
Johann
Martin Graf zu
Stolberg-Roßla
(der Schwager des regierenden Grafen zu Wied – Ordensname
`Campanella´)
das Zeugnis am 1. Juli unterschrieb..."!